Meta Janssen-Kucz: Rede zum Bericht der Enquetekommission zur medizinischen Versorgung

TOP 11: Bericht der Enquetekommission „Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen – für eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe medizinische Versorgung“

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede

Vielen Dank für die kooperative und kollegiale Zusammenarbeit in den beiden arbeitsintensiven Jahren in der Enquete zur Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung an alle Beteiligten. Alle haben mit großer fachlicher Expertise zu diesem umfangreichen Abschlussbericht beigetragen, der ein großer, aber notwendiger Arbeitsauftrag an die Politik ist.

Gemeinsam haben wir viele gute Kompromisse erarbeitet für Probleme, die teilweise schon seit Jahren in den Kommunen, auf Landes- oder Bundesebene diskutiert werden, bei denen es aber nicht vorangeht.

Wer im Gesundheitswesen Strukturen verändern will, muss dicke Bretter bohren. Auch das hat die Arbeit der Enquete gezeigt. Aber wenn wir eines aus der Covid-19 Pandemie gelernt haben, dann doch, dass auch große Veränderungen möglich sind.

Die Enquete-Kommission hat viele wichtige Beschlüsse gefasst, mit denen unser Gesundheitssystem in Niedersachsen besser werden kann. Die Kollegen Schwarz und Meyer haben das ausführlich dargestellt. An einigen Stellen aber, hat es die Kommission verpasst, einen notwendigen Systemwechsel einzuleiten, z.B. in der Pflege oder der Geburtshilfe. Auf einige Punkte, bei denen wir Grüne anderer Auffassung sind, möchte ich deshalb gerne eingehen.  

Anrede

Fangen wir mit dem größten Nadelöhr an in der medizinischen und pflegerischen Versorgung an: dem Personal!

Seit Jahren wurde in allen Bereichen nicht ausreichend ausgebildet. In einigen medizinischen und therapeutischen Berufen wird sogar immer noch Schulgeld verlangt. Studienplätze in der Hebammenausbildung sind rar und nun plant die Groko scheinbar, eine zentrale und einstimmige Empfehlung der Enquete unter dem Eindruck der aktuellen Kassenlage auf die lange Bank zu schieben: die Einrichtung von 200 zusätzlichen Medizin-Studienplätzen.

Der Abschlussbericht ist gerade erst abgegeben, und die Große Koalition wirft schon die ersten Beschlüsse über Bord. Das ist nicht nur eine ziemliche Unverfrorenheit gegenüber allen, die in den letzten beiden Jahren viel Arbeitszeit in diese Kommission investiert haben. Für die hausärztliche Versorgung in der Fläche ist diese Entscheidung der Landesregierung ein weiterer Sargnagel.

Mit jedem zusätzlichen Medizin-Studienplatz, der in heute nicht eingerichtet wird, fehlen ab 2032 eine weitere Ärztin oder ein weiterer Arzt in Niedersachsen. Die ambulante und medizinische Versorgung darf durch ein solches Agieren nicht noch weiter kaputtgespart werden.

Dann hilft Ihnen auch ihre vollmundig angekündigte Landarztquote nicht. Sie ist definitiv kein Erfolgskonzept, sie fördert die soziale Ungerechtigkeit und sie wird nicht vor Mitte 2030 greifen. Denn so lange dauert eine Vollarztausbildung. Hören Sie auf, den Bürger*innen Sand in die Augen zu streuen und sichern Sie hier und heute den versprochenen Ausbau von 200 zusätzlichen Studienplätzen zu!

Anrede

Gut ausgebildetes medizinisches Personal ist das Fundament einer guten Versorgung. Ein bedarfsorientierter Personalschlüssel für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und auch für den Öffentlichen Gesundheitsdienst sind daher von zentraler Bedeutung.

Dass die Verfügbarkeit von Intensivbetten und Beatmungsgeräten allein noch lange nicht die Patientenversorgung sichert, führt die Pandemie uns täglich vor Augen.

Wir müssen nicht nur in Beton, Technik und Software investieren, wir müssen genauso intensiv investieren in gut ausgebildetes, qualifiziertes und gut bezahltes Personal. 

Wir waren uns in diesem Zusammenhang auch einig, dass wir Aufgaben im Gesundheitswesen neu verteilen müssen. Bestimmte heilkundliche Aufgaben können auch von entsprechend ausgebildeten nicht-ärztlichen Gesundheitsfachberufen übernommen werden. Entscheidend ist jedoch die Umsetzung und da sind wir uns nicht einig: sie wollen die Aufgaben delegieren. Das bedeutet mehr Arbeit für nicht-ärztliche Berufe, aber nicht mehr Handlungsspielraum. Genau das aber muss doch Ziel sein! Der richtige Weg heißt deshalb aus unserer Sicht nicht Delegation, sondern Substitution. Vor allem in der Pflege können wir damit mehr Kompetenzen aufbauen, den Beruf attraktiver machen und die Versorgung flächendeckend verbessern.

Unabdingbar ist für uns der Grundsatz „keine Schicht alleine“. Wir haben lange genug über eine bessere Personalausstattung und neue Personalbemessung diskutiert, während Pflegekräfte tagtäglich in den Einrichtungen allein für eine ganze Station verantwortlich sind. Das Mindeste muss daher sein, dass künftig immer mindestens zwei Pflegekräfte pro Einheit eingesetzt werden. Das ist auch kurzfristig umsetzbar. Die Pflegekräfte in Niedersachsen warten schon viel zu lange auf Entlastung.

Wichtig ist auch, dass die professionelle Pflege, als mit Abstand größte Berufsgruppe im Gesundheitswesen endlich gleichberechtigte Mitsprache und Stimmrecht in den Entscheidungsgremien des Gesundheitswesens bekommt. Wieso ist die Pflege nicht im Gemeinsamen Bundesausschuss, im 90a Gremium und auch nicht im Pandemie-Krisenstab vertreten? Wir reden immer von mehr Wertschätzung, aber dazu gehört endlich auch mehr Mitsprache und Beteiligung, auch hier in Niedersachsen!

Anrede

Und es ist absolut der falsche Weg medizinisches und pflegerisches Personal aus dem Ausland abzuwerben, um bei uns Versorgungslöcher zu stopfen. Es sollte für uns alle eine ethische Verpflichtung sein, keine Fachkräfte aus diesen sensiblem Bereichen gezielt abzuwerben und damit dazu bei zutragen die Versorgungssituation in den Herkunftsländern zu verschlechtern. Wieso setzen wir nicht alles daran, das Bleiberecht aktiv zu nutzen und den hier lebenden und arbeitenden Menschen endlich eine Perspektive zu bieten.

 

Anrede

Ein ganz entscheidender Punkt für die zukünftige Weichenstellung in der medizinischen Versorgung vor allem auf dem Lande ist die Krankenhausfinanzierung in Niedersachsen.

Das Land muss seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Krankenhausfinanzierung endlich nachkommen. Für die Ausstattung der Krankenhäuser müssen die jährlichen Investitionsmittel auf 8 % des Gesamterlöses stationärer Leistungen erhöht werden. Das entspricht derzeit ungefähr 520 Mio. Euro pro Jahr und sichert den Kliniken eine dynamische Anpassung und eine auskömmliche Finanzierung.

Im Gegenzug erwarten wir von den Kliniken, dass sie ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht werden und die medizinische Versorgung sicherstellen. Sie sollen wirtschaftlich arbeiten, aber nicht in erster Linie private Gewinne abwerfen.

Es ist fatal, dass die Krankenhäuser notwendige Investitionen selbst finanzieren müssen, z.B. aus den Einnahmen aus den Fallpauschalen DRG`s, die eigentlich nur für die Finanzierung der Betriebskosten vorgesehen sind. Die Gestaltung der Fallpauschalen führt teilweise zu Behandlungen, die für das Krankenhaus lukrativ, aber nicht unbedingt notwendig sind.

Die Fallpauschalen müssen weiterentwickelt werden: Grundvorhaltekosten müssen stärker berücksichtigt, Investitionen gestärkt, Fehlanreize beseitigt und Vorsorge und Pflege besser vergütet werden.

Grünes Ziel ist und bleibt es, Krankenhäuser in öffentlicher bzw. frei-gemeinnütziger Hand zu sichern. Mit einer aktiven Qualitäts- und Versorgungsplanung sowie der vollständigen Finanzierung der Krankenhausinvestitionen wollen wir die medizinische Versorgung vor Ort sichern.

Dafür ist auch eine vorausschauende und integrierte Versorgungsplanung notwendig, die Kliniken und regionale integrierte Versorgungszentren zusammendenkt. Ziel muss es sein, dass bestimmte Leistungen wohnortnah erbracht werden. Nicht dass es wohnortnah eine Klinik gibt.

Eine gute Gesundheitsversorgung muss für die Menschen auf dem Lande genauso garantiert sein, wie für die Menschen in der Stadt. Die Versorgungssicherheit und das Wohlergehen der Patient*innen müssen Maßstab für ein krisenfestes Gesundheitssystem sein. Gerade die Pandemie zeigt uns deutlich den kurz-, mittel- und langfristigen Handlungsbedarf.

Anrede

zu einem Systemwechsel gehört für uns auch, die private und gesetzliche Krankenversicherung zusammen zu führen. Ein erster Schritt kann die echte Wahlfreiheit zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung für die Beamt*innen in Niedersachsen sein. Geben Sie sich einen Ruck, andere Bundesländer machen es vor und die vielen Petitionen zeigen deutlich, dass die Wahlfreiheit kommen muss.

Anrede

Wir müssen die Krankenhauslandschaft umstrukturieren und den Aufbau einer 3-fach abgestuften Versorgung weiter voranbringen. Und wir brauchen klar definierte Mindestanforderungen, um eine möglichst hohe Versorgungsqualität zu erreichen. Das bedeutet aber auch, dass Krankenhäuser, die die Mindestanforderungen vor allem in der Grundversorgung nicht erfüllen, in interdisziplinäre regionale Gesundheitszentren umgewandelt werden sollten, damit die Menschen weiterhin, vor allem nach medizinischen Eingriffen in einem Schwerpunktkrankenhaus oder Maximalversorger im Anschluss wohnortnah postoperativ weiterversorgt werden.

Anrede

Für die notwendigen Strukturveränderungen in der Krankenhauslandschaft, brauchen wir Akzeptanz und Transparenz und die frühzeitige Einbindung der Bürger*innen. Einfach so die Bürger*innen bei Krankenhausangelegenheiten nach § 32 NKomVG auszuschließen, ist definitiv der falsche Weg. Wir fordern mehr Bürgerbeteiligung und damit mehr kooperative direkte Demokratie in Niedersachsen. Anmerkung: Olaf Lies fordert mehr Bürgerbeteiligung bei der Endlager-Auswahl und die Enquete beschließt den Ausschluss der Bürgerbeteiligung bei Krankenhausangelegenheiten, weil die Bürger*innen zu emotional sind.

Anrede

Abschließend noch ein paar Sätze zur Hebammenversorgung, denn hier habe ich eine andere Einschätzung, als die Enquete. Die Hebammenversorgung in Niedersachsen ist nicht sichergestellt. In jeder 5. Klinik können die Planstellen nicht mehr vollständig besetzt werden und in einigen Häusern kommt es zu kritischen Unterbesetzungen. Und die Lage wird nicht besser, wenn die Einrichtung von Studienplätzen für Hebammen weiter verzögert wird. Wir brauchen in Niedersachsen in der stationären Geburtshilfe eine eigenständige Geburtshilfeplanung mit landesweit einheitlichen Versorgungsstandards.

Und Mindestmengen haben in der Geburtshilfe nichts zu suchen. Sie sind in der Geburtshilfe kein Indikator für Qualität, sondern eine rein ökonomische Größe, die besagt, ab wie viel Geburten pro Jahr sich eine Geburtshilfeabteilung rechnet. Sie gefährden damit die flächendeckende wohnortnahe Versorgung von schwangeren Frauen.

Es wird außerdem Zeit, dass wir die Rahmenbedingungen in der Geburtshilfe im Sinne der Frauen und der Hebammen verbessern. Dazu gehört es z.B., Fehlanreize abzustellen, die zu mehr Kaiserschnitten führen. Noch wichtiger aber ist es, für eine ausreichende Personalausstattung zu sorgen. Eine 1:1 Betreuung unter der Geburt muss in den Kliniken zum Standard werden. Mehr Personal führt nachweislich zu weniger Interventionen, weniger Geburtsverletzungen und weniger Langzeitfolgen. Was in anderen Ländern längst etabliert ist, muss auch hier in Niedersachsen endlich forciert werden.

Anrede

Zwei Jahre intensive Enquetearbeit und damit die vielen wichtigen Punkte und Herausforderungen, lassen sich nicht alle in dieser Beratung umfassend erörtern. Wichtig ist, dass die fachliche Expertise nicht in der Schublade verschwindet, sie schreien nach politischer Bewertung und Umsetzung. Je schneller, desto besser. Lassen Sie und die Beschlüsse der Enquete nutzen, um unser Gesundheitssystem gut aufzustellen, für den demografischen Wandel, für Strukturveränderungen, für zukünftige Pandemien und auch für den Klimawandel.

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