Meta Janssen-Kucz: Rede zum Abschlussbericht des Corona-Sonderausschusses

Rede TOP 6: Sonderausschuss zur Aufarbeitung der bisher gewonnenen Erkenntnisse aus der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und – daraus schlussfolgernd – zur Vorbereitung auf künftige pandemiebedingte Gesundheits- und Wirtschaftskrisen

- Es gilt das gesprochene Wort -

Anrede,

ich möchte mich ebenfalls für die gute konstruktive Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten im Sonderausschuss bedanken. Vor allem gilt mein Dank der wissenschaftlichen Begleitung durch Prof. Duttke und Herrn Lammers, den Fraktions-Corona-Referent:innen und der Landtagsverwaltung. Ohne das Expert:innenwissen, die uns hervorragend wissenschaftlich und fachlich informiert haben, hätten wir diesen Bericht nicht vorlegen können.

Um es vorweg zu sagen, es ist nicht einfach mitten in der Pandemie, mit immer neuen Erkenntnissen und Vorgehensweisen in der Pandemiebekämpfung, einer Infektionsdynamik die immer wieder unterschätzt wurde, das ursprüngliche langfristige Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Und ganz ehrlich, ein bisschen mehr Selbstkritik, etwas mehr Mut und Haltung - auch gegenüber der eigenen Landesregierung - hätte den Kolleg:innen der Regierungsfraktionen im Sonderausschuss Pandemiebekämpfung gut getan.

Gerade die Dynamik, die wir auch jetzt tagtäglich spüren, hat mehr als deutlich gemacht, dass man bereit sein muss, aus Fehlern und Fehleinschätzungen zu lernen und daraus dann auch klare Rückschlüsse für die jetzige und zukünftige Pandemiebekämpfung zu ziehen.

Das hätte den Familien, die vulnerablen Gruppen, Krankenhäuser und Ärzt:innen, Menschen in der Eingliederungshilfe und den Kitas und Schulen und den vielen Beschäftigen geholfen. Und auch die Wirtschaft, deren Beschäftigte und die Selbstständigen haben seit fast 2 Jahren zu kämpfen und suchen tagtäglich nach Perspektiven und Unterstützung. Und nicht zu vergessen die Kommunen mit ihren Gesundheitsämtern, die am Ende dafür verantwortlich sind, alles vor Ort zu organisieren, zu koordinieren und zu kommunizieren.

Vieles lief und läuft weiterhin nicht rund. Viele Vorgänge, Verordnungen und Hilfen dauern zu lange und sind zu bürokratisch und werden nicht ausreichend verständlich öffentlich kommuniziert.

Der Bericht des Sonderausschusses zeigt die richtige Richtung auf, deshalb haben wir zugestimmt. Aber wir haben bewusst Sondervoten verfasst. Sondervoten zu Themenkomplexen, an die die GroKo nicht dranwollte oder konsequent ablehnte.

Bestes Beispiel ist die geforderte Einrichtung eines Pandemierates. Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hat einen Expertenrat eingerichtet und SPD/CDU in Niedersachsen lehnen den Pandemierat. Es ist immer besser, ein Expertengremium zu öffentlich zu benennen und arbeiten zu lassen, als sich im stillen Kabinettskämmerlein externe Expertise einzuholen, die kaum ein Außenstehender nachvollziehen kann.

Wir benötigen einen öffentlichen Pandemierat, bestehend aus Expert:innen aus der Wissenschaft mit virologischen und epidemiologischen Kompetenzen, aber auch mit psychologischen, pädagogischen, sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Kompetenzen. Nur so kann es gelingen, die Bevölkerung und die unterschiedlichen Akteur:innen in der Pandemie mit einzubinden und mit ihnen in einen gut strukturierten Austausch zu treten.

Nur so erreichen wir mehr Akzeptanz und Verständnis für die Maßnahmen bei den Bürger:innen und können Politik- und Demokratieverdrossenheit vorbeugen.

Vertrauen muss man sich erarbeiten, gerade in einer Pandemie. Vertrauen ist kein Selbstläufer!  Pressemitteilungen, Pressekonferenzen und Socialmedia-Kampagnen reichen nicht aus. Wir brauchen eine kontinuierliche, barrierefreie Kommunikation auf allen Ebenen und eine echte Fehlerkultur. All das gelingt nur mit einer langfristig angelegten orientierenden Sozialforschung, damit wir aus Fehlern für die Zukunft lernen.

Anrede,

unsere Erkenntnis aus dem Sonderausschuss lautet, dass wir aus den bisherigen Erfahrungen lernen müssen, um frühzeitig und besser für zukünftige Pandemien gewappnet zu sein und schneller zu reagieren.

Dazu gehört auch die Frage, wie wir das Risiko weiterer Pandemien verringern können. Dazu gehört es auch, sich vermeintlich unbequemen Fragen zu stellen!

Umweltzerstörung und Klimawandel beschleunigen die Entstehung neuer Pandemien – das ist der unbestreitbare aktuelle wissenschaftliche Sachstand!

Schauen wir uns den Bericht der UN-Umweltprogramms zur Verhinderung weiterer Pandemien an. Hier werden ganz klar die Ursachen für die beschleunigte Entstehung von Zoonosen benannt: Die Intensivierung der Landwirtschaft, die steigenden Bedarfe an tierischem Protein, Naturzerstörung und Klimawandel!

Deshalb müssen wir das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens auch unbedingt einhalten und das setzt aktives politisches Handeln, auch in Niedersachsen voraus.

Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen des Friedrich-Löffler-Instituts (FLI), sind die Gefahren durch die Aviäre H5N1, die Geflügelpest, sehr hoch einzuschätzen. Aus Russland und Großbritannien sind bereits Übertragungen des Virus auf Menschen bekannt und auch in Niedersachsen wurden Übertragungen auf Säugetiere beobachtet, wie aus einem Bericht des FLI vom 26.10.2021 über Todesfälle von Seehunden im Wattenmeer hervorgeht.

Dazu gibt es eine sehr aktuelle Risikoeinschätzung vom 10. Januar 2022 und das FLI empfiehlt dringend eine „kurz-bis mittelfristige Verringerung der Dichte kommerzieller Geflügelbetriebe durch Wiederbelegungsverbote“ und langfristig eine komplette „Umstrukturierung von Geflügelproduktionssystemen“.

Nichts anderes steht auch in unserem Sondervotum und wir Grüne werden weiterhin dafür streiten. Ohne Strukturwandel in der Agrarindustrie öffnen wir die Scheunentore für weitere Pandemien weiter – ich verstehe nicht, weshalb sich vor allem die CDU bei diesem Thema so sperrt und Scheuklappen aufsetzt.

Erwähnen möchte ich in diesem Kontext auch unseren grünen Antrag, aus  wissenschaftlichen Erfahrungen und Erfahrungen anderer Länder – weltweit - zu lernen und endlich flächendeckende Abwasseruntersuchungen zur Gefahrenabwehr einzusetzen. Selbst die EU-Kommission hat dringend empfohlen die Umsetzung der Abwasseruntersuchungen bis zum Oktober 2021 umzusetzen. Und Niedersachsen? Niedersachsen hat ein Modellprojekt in Hannover, dass erfolgreich arbeitet, ebenso wie andere groß angelegte  Abwasseruntersuchungsprojekte, wie in Berlin. Unser Ziel muss es doch sein, ein frühes flächendeckendes Warnsystem über die regionale Ausbreitung von Covid-19 Viren und mögliche Mutationen zu bekommen und nicht erst, wenn sie durch PCR-Tests fast 2 Wochen später festgestellt werden. Wieso kann das „Team Vorsicht“, nicht endlich mal vor die Lage kommen und präventiv agieren?

Anrede,

im Hinblick auf den fortschreitenden Klimawandel ist es für unsere Wirtschaft überfällig, dass sie sich widerstands- und zukunftsfähiger aufstellt. Und für künftige Pandemien muss klar sein, dass für bestimmte Produkte und Dienstleistungen - europaweit harmonisiert - die Vergabebedingungen erleichtert werden, ohne die Standards des Vergaberechts anzutasten.

Hart getroffen, bzw. trifft die Pandemie immer noch die vielen Soloselbständigen in den unterschiedlichsten Bereichen. Sie müssen endlich ins Sozialsystem integriert werden und nicht auf die Grundsicherung zurückfallen.

Die Pandemie hat uns auch allen deutlich gemacht, wie wichtig ein belastbarer zuverlässiger ÖPNV, insbesondere in der Fläche ist. Hier muss für mehr Klimaschutz, mit nachhaltigen Klimaprämien für E-Bikes, Lastenfahrräder usw. noch einiges auf den Weg gebracht und die Wirtschaft nachhaltig gestärkt werden.

Unser gemeinsames Ziel muss sein, zukünftig alle Investitionen auf positive Klimaauswirkungen auszurichten. Sonst droht die Klimakrise für die Wirtschaft eine noch stärkere Belastung als die Pandemie zu werden.

Anrede

Kommen wir zum Sondervotum: Schulen. In fast 2 Jahren Pandemie hätte einfach mehr passieren müssen, um den baulichen und technischen Zustand an die Herausforderungen des Infektionsschutzes anzupassen. Vor allem die Innenausstattung, allen voran die Fenster und technische Maßnahmen, wie effektive Luftaustauschsysteme und qualitativ hochwertige Luftfilter nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen, lassen immer noch auf sich warten. Regelmäßiges Lüften büßt durch Omikron an Effektivität ein und ist gerade im Winter oder bei Fenstern, die sich nur einen Spalt breit öffnen lassen nicht besonders pragmatisch. Und Fördermaßnahmen sollten aufeinander abgestimmt und unbürokratisch in der Umsetzung für die Schulträger sein, nicht umgekehrt.

Wir wollen und müssen mehr über den Verlauf von Pandemien in Gruppenräumen, wie Kitas und Schulen für die Zukunft lernen, deshalb sollten die aktuellen Schulöffnungen mit den aktuell praktizierten Hygieneschutzmaßnahmen wissenschaftlich begleitet und zeitnah evaluiert werden.

Aber wir müssen auch endlich anfangen Schule neu zu denken. Muss Unterricht immer in Klassenzimmern stattfinden? Wir haben außerschulische Lernorte und viele Naturräume, die sich für Unterricht draußen eignen. Und müssen Klassen so groß sein? Was ist mit mehr digitalen und hybriden Unterrichtsformen zumindest im Sekundarbereich II ?

Abstand ist das Gebot der Stunde und vermutlich auch noch lange Zeit, das müssen wir zukünftig beachten und vor allem umsetzen!

Anrede

Ein weiteres Sondervotum haben wir zur Situation in unseren Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen vorgelegt. Die Pandemie hat gerade, wie mit einem Brennglas deutlich gemacht – so kann und darf es nicht weitergehen. Der Fachkräftemangel, aber vor allem die dauerhaft zu hohe Arbeitsbelastung und die schlechte Entlohnung führen dazu, dass immer mehr Fachkräfte den Einrichtungen den Rücken zukehren und den Fachkräftemangel in der Pflege verschärft.

Das große Thema Investitionsmittel zur Finanzierung unserer Krankenhäuser kennen Sie zu genüge. Hier muss mit dem neuen Krankenhausgesetz in Verbindung mit dem anstehenden Strukturwandel endlich gehandelt werden. Die zum Teil dramatischen wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Pandemie in unseren Krankenhäusern und Unikliniken sind bekannt. Aktuell gibt es bundesrechtlich geregelte Unterstützungsleistungen, die Ausgleichszahlungen. Aber zukünftig müssen auch Vorhalte- und Digitalisierungskosten dauerhaft in der Finanzierung berücksichtigt werden.

Zusammen mit den Kostenträgern, müssen Bund und Land auch an das Pflege-Budget ran, denn damit stehen und fallen die Arbeitsbelastungen und damit auch die Qualität der Patientenversorgung und -Zufriedenheit.

Anrede,

Abschluss: Bei allen politischen und fachlichen Differenzen möchte ich zum Abschluss dennoch deutlich machen, dass die demokratischen Parteien des Niedersächsischen Landtages gemeinsam versucht haben, Lösungen und Antworten für die schwierigen Herausforderungen in der Pandemie zu finden. Das ist weitgehend gemeinsam gelungen und dafür möchte ich mich bedanken.

Fakt ist aber auch, dass die Pandemiebekämpfung ein langwährender Prozess ist und wir uns immer noch mittendrin befinden. Das heißt wir brauchen jetzt aktives Handeln, um die Niedersachsen zukunftsfest und pandemiesicherer zu gestalten.

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