Antrag: Regionale Daseinsvorsorge und Zusammenhalt in den ländlichen Räumen stärken – Erfahrungen aus dem Modellprojekt „Regionale Versorgungszentren (RVZ)“ weiterentwickeln und landesweit ermöglichen

Fraktion der SPD
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Sicherstellung sozialer und medizinischer Versorgungsangebote sowie die Schaffung von Orten der Begegnung und Gemeinsamkeit sind wichtige Zukunftsthemen für die ländlichen Regionen in Niedersachsen. Im Rahmen des Modellprojekts Regionale Versorgungszentren (RVZ) fördert das Land Niedersachsen seit 2020 die Errichtung von RVZ in kommunaler Trägerschaft. Seit dem Beginn des Modellprojekts im Jahr 2020 sind fünf Modellvorhaben an den Standorten Alfeld (Leine) (Landkreise Hildesheim und Holzminden), Auetal (Landkreis Schaumburg), Baddeckenstedt (Landkreis Wolfenbüttel), Nordenham (Landkreis Wesermarsch) und Wurster Nordseeküste (Landkreis Cuxhaven) erfolgreich gestartet. Ende 2023 haben alle fünf RVZ ihren Betrieb aufgenommen. In 2024 wird ein weiteres Modellvorhaben vorgesehen.

In den RVZ werden neben einem kommunalen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) mit hausärztlichem Schwerpunkt Angebote der Daseinsvorsorge an gut erreichbaren Orten gebündelt. Die Modelle zielen zum einen darauf ab, durch die Besetzung freier Hausärztinnen- und Hausarzt-Sitze dem Mangel an Ärztinnen und Ärzten entgegenzuwirken und letztlich die primärärztliche Versorgung sicherzustellen. Zum anderen können die Kommunen entsprechend der individuellen Bedarfe der Bürgerinnen und Bürger festlegen, welche weiteren Angebote und Dienstleistungen hier eingebunden werden sollen. Die Bedarfe können in Angeboten zur Tagespflege und Beratungsangebote, Hebammendienste, Präventionskurse, Ergo-, Logo- oder Physiotherapie münden. Auch weitere soziale Angebote wie haushaltsnahe Dienstleistungen, die Einbindung eines Cafés als Treffpunkt zum Austausch oder die Bereitstellung von Multifunktionsräumen für Vereine und Initiativen der örtlichen Gemeinschaft sind möglich und wurden auch umgesetzt. Durch die angestrebte zentrale oder gut erreichbare Lage bieten die RVZ zudem einen Beitrag zur Belebung der Ortszentren und können die Nachnutzung leerfallender Immobilien fördern. Insgesamt steigert die Sicherstellung von Versorgungsangeboten die Attraktivität der ländlichen Räume für alle Generationen.

Die Wirkungsevaluierung der fünf Vorhaben zeigt, dass die RVZ in kommunaler Trägerschaft geeignet sind

  • die hausärztliche Versorgung vor Ort zu sichern und zu verbessern,
  • als Orte für umfassende Daseinsvorsorgeangebote zu fungieren und so zu einer zentralen Anlaufstelle für die Bürgerinnen und Bürger zu werden,
  • zu „Sozialen Orten“ zu werden, die gerade im ländlichen Raum den sozialen Zusammenhalt stärken können.

Dafür ist eine attraktive und verlässliche finanzielle sowie organisatorische Unterstützung der Kommunen erforderlich.

Vor diesem Hintergrund bittet der Landtag die Landesregierung:

  1. basierend auf den Erfahrungen aus dem Modellprojekt Regionale Versorgungszentren (RVZ) die Errichtung weiterer RVZ zu ermöglichen und zu verstetigen. Neben der Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung und Bündelung weiterer Daseinsvorsorgeangebote ist dabei eine dritte Säule für Begegnung, Gemeinschaft und Ehrenamt verstärkt zu integrieren. Dazu gehört auch die Vernetzung neu entstehender Angebote der Gemeinwesenarbeit mit bestehenden Strukturen und Einrichtungen. Damit stärken die RVZ den sozialen Zusammenhalt durch ein lebendiges und lebenswertes Gemeinwesen,
  2. bei der Umsetzung der Förderung von RVZ insbesondere im Hinblick auf das von den Kommunen geplante medizinische Versorgungsangebot einen engen Austausch zwischen dem Niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung sowie dem Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung weiter auszubauen. Hierdurch können Kapazitäten gebündelt und Parallelstrukturen vermieden werden. Darüber hinaus sollen bei der RVZ- und Förderausgestaltung auch die Entwicklungen auf Bundesebene berücksichtigt werden,
  3. die RVZ leisten einen wesentlichen Beitrag zur Daseinsvorsorge und Stärkung des Zusammenhalts. Daher soll die Konzipierung und Errichtung von RVZ-Strukturen landesweit über die Bereitstellung von Mitteln und einer hohen Förderquote geprüft werden,
  4. aufbauend auf den Erfahrungen aus den Modellvorhaben und einer gestärkten Säule „Begegnung und Gemeinschaft“ die finanzielle Förderung derart zu gestalten, dass das finanzielle Risiko der Kommunen aus dem Betrieb der RVZ in den ersten Jahren geringgehalten wird,
  5. sowohl die bestehenden als auch zukünftige RVZ in Bezug auf weitere geeignete Vorhaben, wie zum Beispiel die Integration von Telemedizin, Gesundheitskiosken, haushaltsnahen Dienstleistungen, Angeboten der Gemeinwesenarbeit und Vernetzung, mit anderen ortsbezogenen Angeboten und Einrichtungen, insbesondere für den intergenerativen Austausch sowie die Erprobung von Konzepten sogenannter Dritter Orte oder Mobilitätskonzepte zu fördern,
  6. zur Planung und Vernetzung der Angebote und Einrichtungen der Förderung eines Managements in den RVZ eine entsprechende Bedeutung beizumessen,
  7. sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) für eine finanzielle Unterstützung aus dem Strukturfonds der KVN und eine Beteiligung seitens der KVN an kommunal betriebenen MVZ einzusetzen.

Begründung

Mit den bestehenden fünf Modellvorhaben wird deutlich, dass die RVZ einen wichtigen Bestandteil der Regionalentwicklungsmaßnahmen in den ländlichen Räumen bilden. Zukünftig soll das RVZ sich noch mehr zu einem Ort entwickeln, der die Bürgerinnen und Bürger aller sozialen Schichten, Altersgruppen und Herkünfte erreicht; einem Ort, der neben der hausärztlichen Versorgung Teilhabe und Dialog ermöglicht. Dadurch wird der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt und den Vereinsamungstendenzen entgegengewirkt. Ein Ort der Kommunikation und des alltäglichen Austauschs kann entstehen.

Es soll um unterschiedliche Angebote gehen, die direkte und persönliche Kontakte ermöglichen und das soziale Gefüge stärken. Durch das MVZ ist eine hohe Frequentierung und Bekanntheit des Ortes sichergestellt. Bei der Konzeption der RVZ sollen daher Raum und Platzangebot für Vereine, Initiativen und ehrenamtliche Aktivitäten mitgedacht werden. Dieser Aufgabenbereich soll durch ein entsprechendes Management, eine „RVZ-Kümmerin“ oder einen „RVZ-Kümmerer“, aufgebaut und koordiniert werden. Ziel ist es, einen physischen Ort zu haben, mit dem sich die örtliche Gemeinschaft identifizieren kann. Für die konkreten Angebote können ggf. weitere Fördermittel beispielsweise aus dem ESF akquiriert werden.

Die RVZ bilden mit dem Ansatz der Einbindung einer hausärztlichen Versorgung zudem einen komplementären Baustein zu weiteren Instrumenten zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung, wie beispielsweise den Regionalen Gesundheitszentren (RGZ), die auf Grundlage des Nds. Krankenhausgesetzes eingerichtet werden. Während die RGZ eine sektorenübergreifende Kombination medizinischer ambulanter Versorgung mit stationären Bettenkapazitäten anbieten, stellen die RVZ die hausärztliche Versorgung und andere Elemente der Daseinsvorsorge in den ländlichen Räumen sicher auf der Grundlage der vor Ort bestehenden vordringlichen Bedarfe und Gestaltungsmöglichkeiten. Das RVZ fokussiert in seiner Ausgestaltung auf den großen Bereich der Teilhabeermöglichung. Zudem sichert das RVZ mit dem dazugehörigen kommunalen MVZ die primärärztliche Behandlung im ländlichen Raum.

Aufgrund der fachlichen Schnittstelle ist es daher sinnvoll durch entsprechende Arbeitsstrukturen bei der Umsetzung der Förderung von RVZ den engen Austausch zwischen dem Niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung sowie dem Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung weiter auszubauen. Hiermit können Expertise und Kapazitäten auch bei der Beratung interessierter Kommunen noch weiter gebündelt und Parallelstrukturen vermieden werden. Zu diesem Zweck sollte die Arbeit des bereits bestehenden Lenkungskreises weiter intensiviert werden. Da rechtliche Entwicklungen insbesondere auf der Bundesebene, wie z.B. durch das geplante Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, Auswirkungen auf Finanzierungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen im Hinblick auf medizinische Versorgungsangebote haben, sind diese mit zu berücksichtigen.

Die Erfahrungen aus den Modellprojekten zeigen, dass die Errichtung und der Betrieb eines MVZ für Kommunen aus fachlichen und finanziellen Gründen eine Herausforderung darstellen. Im Rahmen der Modellprojekte wurde auf diese Notwendigkeiten seitens der Landesregierung im Rahmen der individuellen Erfordernisse der Kommunen durch umfassende Beratung und durch geeignete Unterstützungsmaßnahmen, wie z.B. die Finanzierung von Gründungsberatungen und Geschäftsführung sowie die Förderung investiver Maßnahmen, mittels hoher Förderquoten eingegangen.

Bei der Verstetigung der Förderung der RVZ ist diesen Erfordernissen weiterhin Rechnung zu tragen. In der Praxis hat sich zudem gezeigt, dass gegebenenfalls nicht alle Maßnahmen zeitgleich umgesetzt werden können.  So kann beispielsweise aufgrund des Mangels an Ärztinnen und Ärzten gegebenenfalls das MVZ nicht im avisierten Zeitraum starten oder weitere Vorhaben zur Stärkung des Angebots eines RVZ, wie zum Beispiel die Implementierung von telemedizinischen Angeboten oder der Aufbau eines Mobilitätskonzepts, können aus Kapazitätsgründen oder anderen Realisierungshindernissen erst in einem zweiten Umsetzungsschritt angegangen werden. Es ist deshalb wichtig zu ermöglichen, dass der Aufbau von RVZ als schrittweiser Prozess angelegt werden kann.

Die mit RVZ-Gründungen verbundenen Herausforderungen und die Ergebnisse der vorliegenden Evaluierung verdeutlichen, dass der in die ZILE-Richtlinie und deren Förderregime und -konditionen integrierte Förderbaustein für RVZ allein nicht ausreicht, um die Kommunen in Niedersachsen umfänglich in die Lage zu versetzen, diese anspruchsvolle Gestaltungsaufgabe anzugehen. Dafür bedarf es eines spezifischen, flankierenden Förderansatzes mit entsprechender Ausgestaltung der Förderkonditionen und Unterstützungsstrukturen.

Bei der Gründung kommunaler MVZ verbleibt für die Kommunen ein unternehmerisches Risiko. Neben der beschriebenen umfassenden Unterstützung seitens der Landesregierung kann die aktive Beteiligung der KVN an kommunal betriebenen MVZ das relevante Know-how erhöhen. Eine finanzielle Beteiligung der KVN aus ihren Strukturfondsmitteln bei der Errichtung und dem Betrieb von kommunal betriebenen MVZ würde zudem dazu beitragen, den finanziellen Anteil der Kommunen und des Landes zu verringern.

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