Antrag: Mädchen in "Männerberufe", Jungen in "Frauenberufe" ? den "Girls` Day" zeitgemäß fortentwickeln

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Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Hannover, den 19.04.2004

Der Landtag wolle beschließen:
Entschließung
Der Landtag stellt fest:
Die Ursprungsidee des "Girls` Day" war es, dass Mädchen an diesem Tag ihre Väter zu deren Arbeitsplätzen begleiten, um so technische und techniknahe Berufe kennen zu lernen. Sie sollten eine erweiterte Berufsorientierung bekommen um so die Festlegung auf typische Frauenberufe aufzubrechen.
Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass dieser Aspekt zunehmend in den Hintergrund tritt und nur knapp die Hälfte der Mädchen den Tag tatsächlich in einem Betrieb verbringt, wobei nicht sichergestellt ist, dass sie dort auch männertypische Berufe kennen lernen.

Völlig unberücksichtigt bleibt, dass auch Jungen ihre Berufe nur aus einem sehr eingeschränkten Spektrum wählen und soziale Tätigkeitsfelder in der Regel nicht in Betracht ziehen. Dies wäre aber notwendig, um einseitigen Rollenzuweisungen zu begegnen und Gleichberechtigung im Berufsleben zu erreichen.

Der Landtag fordert daher die Landesregierung auf,

ein Konzept zur Weiterentwicklung des niedersächsischen "Girls` Days" zu einem Tag der Erfahrung in jeweils geschlechtsuntypischen Berufsfeldern für Jungen und Mädchen zu erarbeiten. Das Konzept sollte für Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern schulintern die Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit typischen Frauen- und Männerrollen und –berufen ermöglichen sowie in einem externen Praxistag den Schülerinnen und Schülern anbieten, jeweils "geschlechtsuntypische" Berufe kennen zu lernen.

Begründung

55% der weiblichen Auszubildenden konzentrieren sich auf 10 von etwa 380 Ausbildungsberufen, in denen der Verdienst in der Regel unter dem Durchschnitt liegt und mit dem ein ökonomisch unabhängiges Leben allein oder die Versorgung einer Familie kaum zu finanzieren ist. Zudem bieten diese Berufe nur geringe Aufstiegschancen. Auch im Jahr 2004 werden sich wieder viele niedersächsische Mädchen für die vier beliebtesten weiblichen Ausbildungsberufe entscheiden: Büro- und Einzelhandelskauffrau, Arzthelferin und Friseurin. Trotz guter Berufschancen sind Mädchen beispielsweise in IT - Ausbildungsberufen mit 14% deutlich unterrepräsentiert.
In diesem Jahr findet der "Girls` Day" zum vierten Mal statt. Insbesondere zukunftsorientierte, technische und techniknahe Berufsfelder, die Mädchen im Prozess der Beruforientierung immer noch zu selten in Betracht ziehen, sollen auf diese Weise in das Blickfeld der Teilnehmerinnen rücken. Durch ihre Teilnahme sollen sie motiviert und ermutigt werden, auch eine Ausbildung in derzeit als frauenuntypisch geltenden Berufsbildern anzustreben.
Eine bundesweite Evaluation des "Girls` Day" 2002 ergab allerdings, dass nur in knapp der Hälfte der Fälle die Mädchen den Aktionstag tatsächlich in einem Unternehmen oder Betrieb verbrachten. Die Mehrheit orientierte sich in Behörden oder Bildungseinrichtungen. Diese Entwicklung lässt sich auch in Niedersachsen beobachten. Viele Behörden bieten ihre Teilnahme am "Girls` Day" an, obwohl Verwaltungsberufe nicht unbedingt zu den männlichen Domänen der Arbeitswelt gehören. Der "Girls` Day" entfernt sich damit immer weiter von seiner Ursprungsidee, nämlich Mädchen ihre Väter an typisch männliche Arbeitsplätze begleiten zu lassen. Es erscheint deshalb notwendig, verstärkt darauf hinzuwirken, dass der Girls` Day" stärker im Hinblick auf dieses Ziel ausgerichtet wird.
Auch in den Schulen stößt der "Girls` Day" auf Kritik. Nur 38% der LehrerInnen waren mit dem Girls’ Day zufrieden, 36% teilweise und 21% nicht zufrieden. Dies bestätigt den Eindruck auch aus niedersächsischen Schulen. Jungen fühlen sich Mädchen gegenüber diskriminiert, was sich in der Vergangenheit bereits in einer Landtagspetition Göttinger Schüler ausdrückte.
Gleichzeitig ist festzustellen, dass es nicht ausreichend erscheint, die Geschlechtertrennung in der Berufswelt nur einseitig aufzubrechen. Auch 35% aller Jungen beschränken sich auf 10 von ihnen präferierte Berufe im handwerklichen und technischen Bereich. Insbesondere Tätigkeiten im sozialen Bereich ziehen sie dagegen häufig nicht in Betracht, so dass Grundschulen, Kindergärten und Pflegeheime im Wesentlichen reine Frauendomänen bleiben. Im Pflegebereich beispielsweise sind 80% der Beschäftigten Frauen. In einer Gesellschaft, in der öffentlich die eigene "Vaterlosigkeit" und die Feminisierung der Kindheit beklagt wird, sollten auch die Jungen die Möglichkeit erhalten, bislang als "frauentypisch" geltende Berufe kennen zu lernen und Ihre Berufswahlperspektive entsprechend zu erweitern.
Eine Weiterentwicklung des "Girls` Day" im Hinblick auf eine allgemeine Geschlechterparität in der Berufswelt würde nicht nur den Horizont von Jungen erweitern. Insbesondere dem Mangel an Pflegekräften könnte durch das gezielte Ansprechen von Jungen begegnet werden, wenn auch hier die Betriebe sich und die entsprechenden Berufsbilder vorstellen und die Jungen auch ihre Mütter an die jeweiligen Arbeitsplätze begleiten würden.
Statt eines Praxistages könnten Jungen wahlweise auch beim Erwerb von haushaltsnahen Fähigkeiten angeleitet werden.
Fraktionsvorsitzender

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