Kleine Anfrage:Wie wird Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern in Niedersachsen geholfen?

Auch mit der aktuellen niedersächsischen Verordnung zur Neuordnung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Niedersächsische Corona-Verordnung) vom 31. Juli 2020, in Kraft getreten am 1. August 2020, bleibt das Betriebs- und Veranstaltungsverbot für Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen sowie die Straßenprostitution bestehen. Sexarbeit ist durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 29. Mai 2020 jedoch wieder erlaubt, wenn sie per „Haus- oder Hotelbesuch“ dargeboten wird. Damit ist auch der Escortservice (Prostitutionsvermittlung) erlaubt¹.

Die aktuell geltende Verordnung führt dazu, dass sämtliche als Prostitutionsstätten definierten Gewerbeeinrichtungen weiterhin geschlossen bleiben müssen, auch wenn sexuelle Dienstleistungen nur einen kleinen Teil des Angebots ausmachen und die Gewerbetreibenden bereit sind, auf diese während der Corona-Maßnahmen zu verzichten.

Als sexuelle Dienstleistung werden sehr unterschiedliche Tätigkeiten bezeichnet, die mit unterschiedlich viel Körperkontakt einhergehen oder gerade im BDSM-Bereich sogar völlig ohne Körperkontakt stattfinden. Fachverbände haben bereits Hygienekonzepte vorgelegt, wie ihrer Vorstellung nach sexuelle Dienstleistungen und die COVID-19-Prävention miteinander vereinbar sind². In vielen Nachbarländern sind die Bordelle bereits wieder geöffnet, wie beispielsweise in Österreich und den Niederlanden seit dem 1. Juli oder der Schweiz seit dem 6. Juni³³. In Hamburg wird eine Wiedereröffnung der Prostitutionsstätten zum 1. September 2020 hin diskutiert, in Absprache mit den Nachbarländern⁴. In Berlin sind seit dem 8. August bestimmte sexuelle Dienstleistungen ohne Geschlechtsverkehr wieder erlaubt. Ab dem 1. September sollen auch sexuelle Dienstleistungen inklusive Geschlechtsverkehr unter Auflagen erlaubt werden⁵.

Unter anderem die Deutsche Aidshilfe fordert, Sexarbeit wieder zuzulassen und die Bordelle bzw. Prostitutionsstätten wieder öffnen zu lassen, um Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter zu schützen und mit anderen körpernahen Branchen gleich zu behandeln sowie illegale Strukturen zu verhindern. Die Befürchtung besteht, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter durch ein undifferenziertes und anhaltendes Verbot und die Schließung der Prostitutionsstätten in die Illegalität gedrängt und damit gefährdet werden. Gerade bei Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, die kaum oder keine finanziellen Rücklagen besitzen, ist die wirtschaftliche Not groß. Die Corona-Pandemie trifft damit eine Berufsgruppe besonders hart, die gesellschaftlich oft stigmatisiert ist und in der auch viele Frauen arbeiten, die wenig Kontakte außerhalb ihrer Tätigkeit haben. Vielen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern ist die Existenzgrundlage weggebrochen. Sie sind akut von Wohnungslosigkeit und Armut bedroht. Legale, kontrollierbare Strukturen drohen zugunsten von illegalen Strukturen und prekärer Sexarbeit verdrängt zu werden. Die finanzielle Notsituation schwächt hierbei die Position der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und bringt sie in eine prekäre Lage, in der sie je nach Nachfrage u. a. auf Safer Sex und Schutzmaßnahmen verzichten könnten oder stärker von sexualisierter Gewalt bedroht  sind⁶. Über die Ausübung von Sexarbeit in legalen Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen können Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter mithilfe eines sicheren Arbeitsumfeldes und durch den Kontakt zu anderen Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern besser geschützt werden. Auch die Kontrolle von Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen erscheint in Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen sowie bei legaler Sexarbeit realistischer. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter selbst haben ein großes Interesse daran, bei ihrer Arbeit gesund zu bleiben und sich weder mit SARS-CoV-2 noch mit sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren. Prostitutionsstätten, Bordelle und ähnliche Einrichtungen mussten auch bereits vor der Corona-Pandemie passgenaue Hygienekonzepte und -maßnahmen nachweisen. Insbesondere die Sexarbeitsbranche und Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter sind in Schutzmaßnahmen vor übertragbaren Infektionen geübt und daran gewöhnt⁷. Eine Kontrolle und Nachvollziehbarkeit des Schutzes der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und Kundinnen und Kunden vor einer Übertragung von COVID-19 oder anderen übertragbaren Krankheiten sind bei einer Verdrängung in die illegale Sexarbeit logischerweise nicht möglich.

Die Deutsche Aidshilfe, der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen sowie der Berufsverband Sexuelle Dienstleistungen, das Bündnis der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, der Deutsche Juristinnenbund, die Diakonie Deutschland und viele weitere Verbände fordern in einem Appell u. a. einen unbürokratischen Soforthilfefonds zur Absicherung des Lebensunterhalts, sichere Unterkünfte sowie Zugang zu medizinischer Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung. Der Zugang zu bisherigen Soforthilfeprogrammen oder Sozialleistungen sei für viele Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aus steuer-, melde- oder aufenthaltsrechtlichen Gründen erschwert oder verstellt⁸. Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Rheinland-Pfalz sind Nothilfefonds für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter aufgelegt worden⁹. Die Bremer Gesundheitsbehörde fordert ein bundesweites Hilfspaket für die Branche¹⁰. Währenddessen werden Stimmen laut, die ein generelles und Pandemieverlauf-unabhängiges Sexkaufverbot fordern. Laut einem Artikel des Weser-Kuriers hält Justizministerin Barbara Havliza die Forderung nach einem Sexkaufverbot über Corona hinaus für nicht durchsetzbar¹¹.

 

1 www.rechtsprechung.niedersachsen.juris.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml, abgerufen am 05.08.2020.

2 U.a. berufsverband-sexarbeit.de/wp-content/uploads/2020/05/200519_BesD-Hygienekonzept-1.pdf


und uegd.de/uegd-fordert-wiedereroeffnung-der-branche/, abgerufen am 05.08.2020.


3 taz.de/Sexarbeit-und-Coronakrise/!5693491/, abgerufen am 05.08.2020.


4 www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Demo-fuer-Wiederzulassung-der-Prostitution-auf-St-Pauli,prostitution252.html, abgerufen am 05.08.2020.


5 www.rbb24.de/panorama/thema/2020/coronavirus/beitraege_neu/2020/08/lockerung-sexarbeit-prostitution-berlin-geschlechtsverkehr.html, abgerufen am 22.08.2020.

6 www.aidshilfe.de/corona-krise-sexarbeit-zulassen, abgerufen am 05.08.2020.


7 berufsverband-sexarbeit.de/wp-content/uploads/2020/05/200519_BesD-Hygienekonzept-1.pdf, abgerufen


am 05.08.2020.

8 www.aidshilfe.de/meldung/corona-krise-sexarbeiterinnen-brauchen-hilfe und www.aidshilfe.de/sites/default/files/documents/appell_fuer_sexarbeiter_innen_2020.pdf, abgerufen am 05.08.2020.


9 www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/ludwigshafen/interview-prostituierte-corona-ludwigshafen-100.html, abgerufen am 05.08.2020.


10 www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-bordelle-in-bremen-und-niedersachsen-bleibenvorerst-geschlossen-_arid,1916183.html, abgerufen am 05.08.2020.


11 https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-bordelle-in-bremen-und-niedersachsen-bleiben-vorerst-geschlossen-_arid,1916183.html
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