Meta Janssen-Kucz: Rede zur Aktuellen Stunde (GRÜNE) - "Pflegekräfte am Ende ihrer Kräfte, Intensivbetten gesperrt - Wie stoppen wir den #Pflexit?" (TOP 26b)

- Es gilt das gesprochene Wort -

den #Pflexit? (Akt. Stunde Grüne)

Anrede,

es vergeht derzeit kein Fernsehabend, an dem nicht über die Überlastung des Gesundheitssystems berichtet wird. Schlagzeilen wie „Pflegekräfte am Limit“ oder „Pflegenotstand auf den Intensivstationen“ lesen wir alle so häufig, dass wir die Dramatik nicht mehr ausreichend wahrnehmen und sie fast schon zur Normalität gehört.

Dabei sind die Fakten hochdramatisch:

  • Eine Umfrage des Divi-Intensivregisters hat ergeben, dass im Laufe der Pandemie bundesweit etwa 3.000 Intensivbetten weggefallen sind, weil das Personal fehlt, um sie zu betreiben.
  • In Niedersachsen stehen nach der neusten Verordnung aktuell 2.350 Intensivbetten zur Verfügung, es waren schon mal über 3.000 Intensivbetten. Laut Proplanta wurden am 14.12.21 nur noch 2.095 Betten betrieben! Der Rückgang der Intensivbetten ist drastisch, weil das Pflegepersonal weg bricht.
  • Dazu kommt, dass nach einer Umfrage des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe jede dritte Pflegekraft regelmäßig über einen Berufsausstieg nach nachdenkt.

Mitten in der vierten Pandemiewelle – der höchsten, die wir bisher erlebt haben und im Angesicht der Omikron-Variante können wir uns das schlicht nicht leisten. Wenn das so weitergeht bricht unser Gesundheitssystem zusammen und die Triage kommt schneller als wir uns in den schlimmsten Albträumen vorstellen können.

Anrede,

Zeit online hat kürzlich Pflegekräfte, die aus dem Beruf ausgestiegen sind, nach den Gründen befragt. Die meisten gaben an, sich damit selbst zu schützen. Sie berichten von permanenter körperlicher und psychischer Überlastung, von fehlenden Erholungspausen, von Zusammenbrüchen im Dienst, von Fehlern, die unter Druck passieren. Während die gesetzlichen Personalschlüssel zwei Patienten pro Intensivpflegekraft in der Tagschicht und drei Patienten in der Nachtschicht vorsehen. Im Klink-Alltag sind es teilweise bis zu sechs Patienten pro Intensivpflegekraft. Das ist die bittere Realität, die zu Lasten der Patienten und vor allem des Pflegepersonals geht.

Zusätzlich, neben der Selbstfürsorge der Pflegekräfte, gibt es Frust und Ärger, dass es trotz zunehmender öffentlicher Wahrnehmung, immer noch keine strukturellen Verbesserungen in der Pflege gibt. Ich zitiere eine Intensivpflegekraft: „Ich habe gekündigt, weil aus keiner Welle was gelernt wurde“.
Leider steht sie mit dieser Aussage nicht alleine.

Anrede,

In der ersten Pandemiewelle haben Menschen auf ihren Balkonen applaudiert, um ihre Wertschätzung für Pflegekräfte zum Ausdruck zu bringen. Viele Pflegekräfte haben das schon damals als zynisch empfunden und zu Recht darauf hingewiesen, dass man von Applaus keine neue Kollegin einstellen und auch keine Miete zahlen kann.

In der zweiten Welle gab es einen halbherzigen Bonus, der aber bei Weitem nicht alle Pflegekräfte erreicht und insgesamt hauptsächlich Frust verursacht hat. Denn wirklich nachhaltige Veränderungen wie beispielsweise bessere Personalschlüssel, mehr Personal und mehr Ausbildungsplätze gibt es bisher nicht.

Und jetzt, in der vierten Welle, gibt es nicht einmal mehr Applaus. Der Gewöhnungseffekt hat eingesetzt, eine starke Interessenvertretung der Pflegekräfte fehlt und jede einzelne Pflegekraft ist auf sich alleine gestellt.

Anrede,

wenn die hohe Arbeitsbelastung dazu führt, dass Pflegekräfte aus dem Beruf aussteigen, erhöht sich automatisch die Arbeitsbelastung derjenigen, die noch da sind. Eine gefährliche Abwärtsspirale, die wir nur noch schwer durchbrechen können.

Im Sonderplenum im Rahmen der Dringlichen Anfrage an die Landesregierung, wie sie das Pflegepersonal entlasten will, sprach Frau Ministerin Behrends von mehr Personal, besserer Bezahlung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Mit Verlaub, Frau Ministerin: nichts davon hilft den Pflegekräften auf den Intensivstationen jetzt akut weiter!

Anrede

Wir haben als Land nur wenig Möglichkeiten, kurzfristig für Entlastung zu sorgen. Aber wir müssen alle Energien jetzt dafür einsetzen, die Pflegekräfte zu halten. Wir müssen den Pflexit stoppen!

Ein erster wichtiger Schritt wäre, psychologische Unterstützung und Supervision für das Personal auf Intensivstationen. Denn neben der körperlichen Belastung ist das ständige Arbeiten in der Nähe des Todes, jedes einzelne Schicksal für die Psyche eine Herausforderung und eine enorme Belastung. Mentale Stärke kann hier zumindest teilweise Entlastung bewirken.

Als zweites muss die neue Bundesregierung nun schnell Klarheit schaffen über den nächsten Pflegebonus und das Land über eine mögliche Aufstockung. Und dieser Pflegebonus sollte – anders als beim letzten Mal – eine ernstgemeinte und fair verteilte Geste der Wertschätzung sein.

Und drittens brauchen die Pflegekräfte von uns jetzt die ernstgemeinte und glaubwürdige Zusage, dass wir uns so schnell wie möglich um bessere Arbeitsbedingungen bemühen. Keine weiteren Allgemeinplätze, sondern möglichst konkrete Forderungen.

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Fraktionen hat dafür einige gute Ansätze, z.B. die Personalbemessung mit PPR 2.0. Dafür brauchen wir aber auch in Niedersachsen mehr Ausbildungsplätze und ein Programm, um Berufsaussteigerinnen zurück zu gewinnen.

Und lassen Sie uns endlich die Pflegekräfte wieder an Entscheidungen, die sie und ihr Arbeitsfeld betreffen, teilhaben und sich einbringen. Auch im neu einberufenen Expertenrat auf Bundesebene ist die Profession Pflege nicht vertreten!

Anrede,

bei vielen Pflegekräften sind in den letzten Jahren Wunden entstanden und das Vertrauen in die Politik verloren gegangen. Tief sitzt die Enttäuschung über eine Politik, die seit Jahren nicht auf die Belastungen und Zustände in der Pflege auf dem Rücken der Pflegekräfte reagiert und zeitgleich davon spricht, dass es keine Überlastung des Gesundheitssystems geben darf. Aber zum Gesundheitssystem gehört die Pflege in all ihren Fassetten dazu, vor allem auf den Intensivstationen.

Es muss Schluss sein mit schönen Vorschlägen und Ankündigungen, es muss endlich etwas von dem Versprochenen ankommen und intensiv an nachhaltigen Verbesserungen in der Pflege gearbeitet werden.

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