Antrag: Pflegeberufe stärken für eine zukunftsfähige kommunale Gesundheitsversorgung - „Community Health Nursing“ in Niedersachsen etablieren

Der Landtag wolle beschließen:

Entschließung

Die Enquete-Kommission zur Sicherstellung der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung in Niedersachsen hat in ihrem Abschlussbericht empfohlen, ärztliche Leistungen stärker auf andere Berufsgruppen zu übertragen und dazu aufsuchende Beratungs- und Versorgungsangebote in Anlehnung an das Modell der „Gemeindeschwester“ in Niedersachsen einzuführen.

Gemeindeschwestern, in der Fachwelt auch Community Health Nurses (CHN) genannt, sind in anderen Ländern schon lange etabliert. Dort übernehmen speziell qualifizierte Pflegekräfte eigenverantwortlich Aufgaben in der Primärversorgung, wie z.B. Anamneseerhebung, Untersuchungen und die Behandlung einfacher Erkrankungen. Daneben sind sie für Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung zuständig, steuern Behandlungsprozesse und unterstützen im Umgang mit komplexen Krankheitsbildern.

In Deutschland ist eine eigenständige Tätigkeit in der Primärversorgung aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen im Berufs- und Leistungsrecht derzeit noch nicht möglich. Bestimmte ärztliche Tätigkeiten können jedoch im Wege der Delegation übernommen werden. Innerhalb des gegebenen Rechtsrahmens können in Deutschland dennoch nur einzelne Elemente des CHN-Konzeptes umgesetzt werden.

Community Health Nurses sind in Deutschland deshalb in der Regel als Angestelltenstatus bei Medizinischen Versorgungszentren, Hausärzt*innen oder Kommunen tätig.

Der Landtag stellt fest:

  • Community Health Nursing hat sich international und in anderen Bundesländern als ergänzendes Versorgungsangebot bewährt, das die Versorgungsqualität verbessern und Versorgungslücken schließen kann.
  • Der geltende Rechtsrahmen ermöglicht nur einen eingeschränkten Einsatz von Community Health Nursing und sieht bspw. für versorgungssteuernde Aufgaben bisher keine Vergütung vor. Eine solche leadership-Funktion schafft insbesondere bei chronischen Krankheiten Kontinuität und Versorgungssicherheit.
  • Pflegekräfte verfügen für die Tätigkeit als Community Health Nurse mit eigenverantwortlicher Übernahme von Aufgaben der Primärversorgung idealerweise einen akademischen Abschluss auf Master-Niveau. Eine solche Qualifikation ist in Deutschland noch nicht regelhaft möglich.
  • Auch für die Übernahme von Aufgaben der Primärversorgung im Wege der Delegation ist eine akademische Ausbildung wünschenswert, die in Niedersachsen bisher nicht erworben werden kann-

Der Landtag fordert die Landesregierung deshalb auf,

  1. in Zusammenarbeit mit den Gesundheitsregionen und den Gesetzlichen Krankenkassen an allen geplanten Regionalen Gesundheitszentren Community Health Nursing als ergänzendes sektorenübergreifendes Versorgungsangebot zu etablieren und dabei die Erfahrungen anderer Bundesländer zu berücksichtigen,
  2. sich auf Bundesebene für eine Gesetzesänderung im SGB V einzusetzen, um den Einsatz von Community Health Nursing als zusätzliche Form der Regelversorgung in der Primärversorgung mit entsprechender Vergütung zu ermöglichen,
  3. sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass die Ausbildung von Fachkräften für Community Health Nursing für den eigenständigen Einsatz in der Primärversorgung gesetzlich geregelt wird,
  4. bis dahin Fachkräfte in den bestehenden Pflegestudiengänge an niedersächsischen Hochschulen zu qualifizieren, die im Wege der Delegation Aufgaben der Primärversorgung übernehmen können, und die Hochschulen dafür entsprechend auszustatten (z.B. durch die Einrichtung neuer Studienschwerpunkte)
  5. im Niedersächsischen Pflegegesetz und im Niedersächsischen Gesetz über den Öffentlichen Gesundheitsdienst die rechtlichen Grundlagen für Community Health Nursing als Regelangebot in der niedersächsischen Versorgungslandschaft zu schaffen.

Begründung

Die medizinische Versorgung in einem Flächenland wie Niedersachen zu sichern, ist angesichts des demografischen Wandels und des sich wandelnden Krankheitsspektrums eine große Herausforderung, die neue und verbesserte Ansätze erfordert. Community Health Nursing hat sich als ergänzendes Angebot zur Regelversorgung durch Ärzt*innen in anderen Bundesländern bereits etabliert.

Die Enquete-Kommission zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung hat unter anderem empfohlen, Versorgungsangebot in Anlehnung an das Modell der Gemeindeschwester auch in Niedersachsen einzuführen. Pflegekräfte füllen als Community Health Nurses nicht etwa die Lücken in der ärztlichen Versorgung, sondern stellen mit ihrem ganzheitlichen Versorgungsansatz ein qualitativ hochwertiges zusätzliches Angebot dar, von dem insbesondere Menschen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen profitieren.

Während Community Health Nurses in anderen Ländern schon lange Bestandteil der Regelversorgung sind und eigenständig Aufgaben der Primärversorgung übernehmen, sind diese in Deutschland berufsrechtlich Ärzt*innen und Heilpraktiker*innen vorbehalten. Die Übernahme von bestimmten Aufgaben der Primärversorgung ist für Community Health Nurses somit nur im Wege der Delegation möglich. Selbst dort, wo Ärzt*innen nicht selbst als Leistungserbringer*innen vorgesehen sind, ein Tätigwerden von CHN also möglich ist, bedarf es oftmals einer vorherigen Verordnung oder Anordnung durch Ärzt*innen, da Community Health Nurses im SGB V nicht selbst als Leistungserbringner*innen in der Krankenbehandlung konstituiert sind. Einer umfassenden Umsetzung des Community Health Nursing Konzeptes der Agnes-Karll-Gesellschaft steht somit der geltende Rechtsrahmen entgegen. Versorgungssteuernde Aufgaben sind darüber hinaus bisher gar nicht im Sozialleistungsrecht abgebildet. Modellprojekte in anderen Bundesländern (z.B. Rheinland-Pfalz) haben deshalb bisher nur einzelne Elemente des Konzeptes verwirklicht.

Um Community Health Nurses als Angebot der Regelversorgung und als wichtigen Baustein zur Sicherstellung der Versorgung zu etablieren, ist deshalb eine Änderung im Sozialgesetzbuch V erforderlich: in § 63 Abs. 3c SGB V müssen Community Health Nurses regelhaft als Übertragungsadressat*innen bestimmt werden, in den §§ 15 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V müssen sie als Erbringer*innen von Hilfeleistungen benannt werden. Versorgungssteuernde Aufgaben sind darüber hinaus zu normieren und eine entsprechende Finanzierung sicherzustellen. Für die Umsetzung in Niedersachsen sind diese Kosten daher zunächst vom Land zu tragen.

Für den Einsatz von Community Health Nurses in der Primärversorgung ist eine akademische Qualifikation auf Masterniveau erforderlich. Dafür ist eine bundesrechtliche Grundlage in einem entsprechenden Ausbildungsgesetz erforderlich. Für den Einsatz im Wege der Delegation ist ebenfalls eine akademische Qualifikation erforderlich, die jedoch auch auf Landesebene durch die Einrichtung entsprechender Studienangebote umgesetzt werden kann.

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