Krebserkrankungen in einem Ortsteil der Gemeinde Friedland im Landkreis Göttingen

In einem Ortsteil von Friedland im Landkreis Göttingen ist es in den vergangenen 20 Jahren laut Presseberichten zu über 50 Todesfällen durch Krebserkrankungen gekommen. Demnach wird vermutet, dass die Ursache im Umgang mit krebserregenden Chemikalien in einem metallverarbeitenden Betrieb des Ortes liegen könnte.

In einem Ortsteil von Friedland im Landkreis Göttingen ist es in den vergangenen 20 Jahren laut Presseberichten zu über 50 Todesfällen durch Krebserkrankungen gekommen. Demnach wird vermutet, dass die Ursache im Umgang mit krebserregenden Chemikalien in einem metallverarbeitenden Betrieb des Ortes liegen könnte. Die Staatsanwaltschaft Göttingen hält einen Anfangsverdacht auf eine Straftat für gegeben und ermittelt gegen die besagte Firma.

Durch die Nachforschungen eines Bürgers in der Nachbarschaft sind Informationen über die Häufung und Verteilung von Krebsfällen zusammengetragen worden, die im niedersächsischen Krebsregister zusammengeführt sein sollten, dort aber offensichtlich nicht vorhanden sind. Die in Niedersachsen bisher praktizierte freiwillige Meldung von Krebserkrankungen durch behandelnde Ärzte an das Krebsregister führt zu einer unvollständigen Datenlage und kann Erklärung dafür sein, warum die Situation in der Ortschaft Groß Schneen bisher nicht erkannt worden ist. Bei dem neuen niedersächsischen Krebsregistergesetz, das der Landtag voraussichtlich in der Plenarsitzung im Dezember beschließt, sollen allerdings Daten zum Arbeitsplatz, zu früheren Tätigkeiten oder Wohnorten einer/eines Erkrankten nicht verpflichtend gemeldet werden. Hier sind lediglich freiwillige Angaben vorgesehen. Solche Daten könnten jedoch Hinweise auf Emissionsquellen wie Anlagen und Betriebe liefern, in denen - möglicherweise unsachgemäß - mit krebserregenden Substanzen umgegangen wird oder wurde. Notwendig ist aber auch eine kleinräumige computergestützte Analyse, die in der Vergangenheit offenbar nur bei konkreten Verdachtsmomenten angestellt wurde.

Wenn in einem kleinen Ort, wo es nur einen oder nur wenige Betriebe gibt, in denen mit krebserregenden Chemikalien umgegangen wird oder wurde, eine Häufung an Krebserkrankungen auftritt, stellt sich zunächst die Frage nach der Signifikanz. Zudem ist zu klären, in welchem Zeitraum einegefährdende Emission vorgelegen haben könnte. Bei Krebserkrankungen kann der Auslöser dabeidurchaus 10 bis über 15 Jahre zurückliegen. Zu klären ist auch, ob es in der Vergangenheit ausrei-chende Überprüfungen des Betriebes gegeben hat, der möglicherweise Auslöser von Erkrankungen war, und ob weitere Auslöser infrage kommen können. Von besonderer Bedeutung sind hier die Ergebnisse von Kontrollen des für Immissionsschutz und Arbeitsschutz zuständigen Gewerbeaufsichtsamtes.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Welche Genehmigungen für den Umgang mit umwelt- und gesundheitsgefährdenden undkrebserregenden Stoffen einschließlich der Maßnahmen zum Schutz der Nachbarschaft undder Entsorgung dieser Stoffe wurden der besagten Firma von staatlichen Behörden erteilt?

2. In welchem Umfang wurden in der Vergangenheit bei den regelmäßigen Kontrollen oder den Kontrollen aufgrund von Nachbarschaftsbeschwerden Verstöße gegen immissionsschutzrechtliche und chemikalienrechtliche Bestimmungen bzw. gegen Arbeitsschutzrecht bei dem besagten metallverarbeitenden Betrieb in Groß Schneen festgestellt?

3. Wie soll nach Ansicht der Landesregierung bei der Umsetzung des neuen Krebsregistergesetzes sichergestellt werden, dass frühzeitig Zusammenhänge zwischen dem Auftreten und   der Häufung von Krebserkrankungen und dem Betrieb von Anlagen - besonders auch bei kleinen und mittelständischen Betrieben - aufgedeckt werden, in denen mit gesundheitsgefährdenden Stoffen umgegangen wird oder in der Vergangenheit umgegangen wurde?

 

Antwort der Landesregierung:

Der Betrieb Wilhelm Grewe OHG wurde 1963 im Ort Groß Schneen baurechtlich genehmigt. Der Schwerpunkt der Produktion liegt auf der Herstellung von Kfz-Kennzeichen und Schildern aus Alu miniumblech. Diese werden mit selbstklebenden Folien beschichtet, die vor Ort im Rollensiebdruckverfahren bedruckt werden. In geringem Umfang werden auch Schilder direkt im Siebdruckverfahren (Handbeschichtung) bedruckt. Weiterhin werden Prägewerkzeuge für die oben erwähnten Kennzeichen konstruiert, hergestellt und lackiert. Die Produkte erfahren weltweiten Absatz.

Die o. g. Firma betrieb und betreibt seit ca. 1990 folgende lösemittelrelevante Anlagen:
a) Lackieranlage in Form eines sogenannten Spritzstandes,
b) zwei Siebdruckanlagen (eine Rollensiebdruck- und eine Handsiebedruckanlage),
c) Siebreinigungsanlage,
d) Entfettungsanlage.

Seit ca. 1990 werden eine Spritzlackierung, zwei Siebdruckanlagen und eine Siebreinigungsanlage betrieben. Bei der Lackierung wurden und werden nur handelsübliche Lösemittel für Farben, Lacke und Hilfsmittel verwendet. Lösemittelbilanzen von 2009 und für das laufende Jahr 2012 belegen, dass die Mengenschwelle von 5 t/a der 31. BImSchV deutlich unterschritten wird und diese daher keine Anwendung findet. In den Siebdruckanlagen wurden im betrachteten Zeitraum von 1990 bis zur Gegenwart ebenfalls nur handelsübliche Lösemittel für Druckfarben verwendet. Die Mengenschwelle der 31. BImSchV von 15 t/a wird
auch hier deutlich unterschritten.

Sowohl die Druckanlagen als auch die Lackieranlage bedurften und bedürfen keiner Genehmigung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz. In der Siebreinigungsanlage wird ein Lösemittelgemisch aus Lösungsmittelnaphtha, Cyclohexanon, N-Butylacetat, 2-Methoxy-1-Methylethylacetat, Butan-1-ol, 1,2,4-Trimethylbenzol, Mesitylen und Cumol eingesetzt. Der Lösemittelverbrauch dieser
Anlage ist zu denen der Druckanlagen zu addieren, da es sich hierbei um eine sogenannte nachgeschaltete Anlage handelt. Trotzdem wird die Mengenschwelle der 31. BImSchV nicht erreicht. Eine Genehmigungspflicht nach Bundes-Immissionsschutzgesetz bestand und besteht ebenfalls nicht.

Früher wurden Entfettungsarbeiten mit Trichlorethen in offenen Bädern durchgeführt. Erwähnt ist die Anlage in den Akten erstmalig 1973. Im Jahre 1988 wurde eine neue Entfettungsanlage angeschafft, die zunächst mit 1,1,1-Trichlorethan betrieben wurde. Es handelte sich um eine quaderförmige geschlossene Einheit, die im unteren Bereich mit einer etwa 40 l fassenden Lösemittelwanne ausgestattet war. Darüber angeordnet war ein höhenverstellbarer Korb, in dem sich das Entfettungsgut befand. Nach Beheizung des Lösemittels stiegen dessen Dämpfe auf und wurden in einem oberhalb der Entfettungszone angeordneten Kondensationsbereich derart abgekühlt, dass die kondensierten Tropfen wieder auf das Gut fielen. Der dazu erforderliche Luftstrom wurde durch Wärmetauscher und Luftgebläse erzeugt. Zusätzlich befand sich im Abluftrohr ein Gebläse, das während der Befüllungsphasen (geöffnete Tür) über eine Zwangsschaltung in Betrieb ging. Der dann abgesaugte Abluftstrom wurde durch einen Aktivkohlefilter gereinigt. Die Ableitung der Abluft erfolgte nach außen über Dach.

Die Anlage wurde als geschlossenes System betrieben. Die Laufzeiten wurden mit etwa 90 Minuten pro Tag angegeben.

Nach 1992 erfolgte die Umstellung auf Trichlorethen (Trichlorethylen, „TRI“). Im Jahre 1999 wurde die Anlage stillgelegt und demontiert. Die dafür angeschaffte neue Entfettungsanlage arbeitet mit einer wässrigen Natriumhydroxidlösung.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Eine gesonderte Genehmigung für den Um gang mit Gefahrstoffen in den o. g. Anlagen ist nicht erforderlich. Die Pflichten, die sich für den Anlagenbetreiber aus der 2. und 31. Bundes-Immissionsschutzverordnung ergeben, wurden, sofern diese Verordnungen überhaupt zur Anwendung kommen, erfüllt.

Zu 2: Alle Anlagen, in denen Lösemittel zum Einsatz kamen, unterlagen oder unterliegen keiner verstärkten Überwachungspflicht durch das zu ständige Staatliche Gewerbeaufsichtsamt. Es handelt(e) sich bei den lösemittelrelevanten Anlagen der o. g. Firma ausschließlich um nicht genehmi-
gungsbedürftige Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzrecht.

Die arbeitsschutzrechtliche Überwachung des Betriebes erfolgte regelmäßig durch das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Göttingen. Gegenstand waren dabei auch wiederholt gefahrstoffrechtliche Fragestellungen, so z. B. zur Gefahrstofflagerung (1993) und zur Lagerung wassergefährdender Stoffe (2007). Die Überwachungsmaßnahmen fanden in der Regel anlassbezogen bzw. im Rahmen von Schwerpunktaktionen und stichprobenartig statt. Im Rahmen von Revisionen wurden im Wesentlichen organisatorische Mängel wie z. B. fehlende Aufzeichnungen oder die ausstehende Bestellung einer Fachkraft für Arbeitssicherheit festgestellt. Daneben wurden u. a. auch Nachbesserungen hinsichtlich der Gefahrstofflagerung und der Maschinensicherheit gefordert. Die Abstellung der Mängel wurde vom Betreiber schriftlich bestätigt und/oder im Rahmen von Nachbesichtigungen nachgewiesen. Gefährdungsbeurteilungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes und später auch nach § 6 der Gefahrstoffverordnung wurden seit 1999 gefordert und angefertigt. Aufgrund einer Mängelmeldung in Sachverständigenprüfbescheinigungen für zwei Heizöltanks erfolgte im September 2010 eine Systemprüfung der Arbeitsschutzorganisation. Im Rahmen dieser Prüfung wurde festgestellt, dass alle Gefährdungsbeurteilungen vorhanden sind und keine wesentlichen Mängel aufweisen. Ein ordnungsgemäßes Gefahrstoffkataster liegt vor. Die Firma wird seit 1999 von einer externen Fachkraft für Arbeitssicherheit betreut.

Insgesamt sind nur drei relativ unkonkrete Beschwerden zu verzeichnen, denen auch nachgegangen wurde bzw. bei denen (im Fall einer Geruchsbeschwerde) kein weiterer Handlungsbedarfbestand.

Ein Gebot, dass Trichlorethen nur in geschlossenen Anlagen hergestellt oder verwendet werdendarf, ist gefahrstoffrechtlich nicht ausdrücklich festgelegt. Auch in der aktuellen Gefahrstoffverordnung vom 26. November 2010 (BGBl. I Seiten 1643, 1644) findet sich im Anhang II unter Nr. 6 bei den Festlegungen für besonders gefährliche krebserzeugende Stoffe keine Aussage zu Trichlorethen. Erst im Oktober dieses Jahres hat die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der WHO Trichlorethen als krebserzeugend für den Menschen eingestuft. Begründet wird dies mit der auch in Deutschland beobachteten Häufigkeit von Nierenzellkarzinomen. Begrenzte Hinweise gab es auf eine mögliche Verursachung von Non-Hodgkin-Lymphomen oder Leberkrebs durch Trichlorethen.

Seit 1999 wird, soweit der Überwachungsbehörde bekannt, Trichlorethen im fraglichen Betrieb nicht mehr verwendet. Die Verwendung in geschlossenen Anlagen erfolgte seit ca. 1988. Berufskrankheitenverfahren sind dem Gewerbeärztlichen Dienst des Landes Niedersachsen nicht bekannt.  Dazu ist allerdings einschränkend festzustellen, dass eine grundsätzliche Meldepflicht für Berufskrankheitenverfahren an staatliche Vollzugsbehörden nicht besteht. Die Beteiligung des Gewerbeärztlichen Dienstes liegt im Ermessen der zuständigen Berufsgenossenschaft.

Zu 3: Um die Datengrundlage u. a. zur Durchführung kleinräumiger Analysen zu verbessern, wird das Gesetz über das Epidemiologische Krebsregister Niedersachsen (GEKN) neu gefasst. Die geänderten Regelungen sehen u. a. eine Meldepflicht für alle Ärztinnen und Ärzte sowie Zahnärztinnen und Zahnärzte vor, die eine Krebserkrankung feststellen oder behandeln. Damit einher gehen folgende Änderungen zur Verbesserung der Datenlage des EKN:

Künftig erfolgt eine genaue kleinräumige Zuordnung der Wohnorte für alle Meldungen (Bildung von geographischen Koordinaten). Dadurch werden der Nachweis und die Überprüfung einer möglichen räumlichen Häufung einer Krebserkrankung verbessert.

Bei Auffälligkeiten darf das EKN nach dem neuen Gesetz alle Patientinnen und Patienten direkt kontaktieren. Im Falle einer Erkrankungshäufung wird so die Erhebung z. B. von spezifischen Risikofaktoren auch nachträglich ermöglicht.

Mit der zu erwartenden verbesserten Datenlage ist der Aufbau eines gemeindebezogenen Monitorings für Niedersachsen vorgesehen. Werden in diesem Monitoring regionale Krebshäufungen erkannt, ist mit den Zuständigen vor Ort zu klären, ob es verdächtige Expositionsquellen gibt. Unabhängig davon bleiben bei vermuteten oder bekannten Expositionsquellen spezifische Anfragen durch die kommunalen Behörden weiterhin möglich.

Zukünftig soll dem EKN auch das Recht eingeräumt werden, bei einem Verdacht auf berufsbedingte Krebshäufungen vom Gewerbeärztlichen Dienst zusätzliche Angaben anzufordern (§ 6 Abs. 6 GEKN-Entwurf). Hierzu gehören u. a. die Art der ausgeübten Berufe und der Zeitraum der jeweiligen Berufstätigkeit, Art, Dauer und Ausmaß des Einwirkens beruflich bedingter Risikofaktoren und im Falle einer Berufskrankheit die Angabe nach Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung. Soweit Ärztinnen und Ärzte des Gewerbeärztlichen Dienstes eine diagnostizierende oder behandelnde Tätigkeit ausüben, sind sie im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 GEKN-Entwurf ohnehin meldepflichtig.

Mit Daten des EKN können Häufungen von Krebserkrankungen aufgedeckt werden; die Klärung der spezifischen Zusammenhänge unter Berücksichtigung der individuellen Risikofaktoren ist jedoch ausschließlich durch epidemiologische Studien möglich. Beim EKN kann z. B. auch angefragt werden, wie viele von den einem gefährlichen Stoff ausgesetzten Betriebsangehörigen später an Krebs erkrankt sind. Das EKN unterstützt derartige arbeitsmedizinische Kohortenstudien, indem es Angaben zu Tumoren zur Verfügung stellt. Die Angaben zur Exposition mit gesundheitsgefährdenden Stoffen muss für solche Untersuchungen aber gezielt aus den betrieblichen und arbeitsmedizinischen Unterlagen erhoben werden.

Aus dem Auftreten einer Krebserkrankung kann nicht auf eine bestimmte Exposition geschlossen werden, weil Krebs in aller Regel ein multifaktorielles Geschehen ist und verschiedene (Risiko-)Faktoren bei der Entstehung eine Rolle spielen können.

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