„Beobachtung von Hausbesetzerinnen und Hausbesetzern in Hannover durch den Verfassungsschutz – Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für den Inlandsgeheimdienst?

Die Aktivitäten der linksextremistischen Szene zur Realisierung sogenannter Autonomer Zentren („Freiräume“) haben in den letzten Jahren bundesweit starken Zulauf erhalten. Die autonome Szene strebt damit zumindest kleine „herrschaftsfreie Zellen“ an, die ihren gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen entsprechen. Solche vom Staat weitestgehend nicht kontrollierten „Freiräume“ werden als unabdingbar für die Verwirklichung der eigenen Lebensentwürfe angesehen und verstehen sich als Rückzugsraum und Ausgangspunkt von Aktivitäten, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten.

Das Thema „Freiräume“ bzw. deren Schaffung und Erhalt hat für Linksextremisten in Deutschland und im europäischen Ausland seit Jahren einen hohen Stellenwert. Als „Freiräume“ gelten insbesondere besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte sowie selbstverwaltete sogenannte Jugend- und Kulturzentren, aber auch „Kunst-, Kultur- & Wagenkollektive“ und zudem bestimmte von ihnen „dominierte“ Plätze, Straßen und Freiflächen.

Linksextremisten sehen ihre „Freiräume“ insbesondere dann als gefährdet an, wenn entsprechende Nutzungs oder Mietverträge auslaufen, die Objekte den Besitzer wechseln oder die zumeist innerstädtischen Wohnviertel („Kieze“), in denen sie leben, umstrukturiert werden (Gentrifizierung). Die Kampagne zum Erhalt selbstbestimmter „Freiräume“ hat überwiegend regionalen bzw. lokalen Charakter und ist zumeist in städtischen Ballungszentren wie in Berlin und Hamburg verankert. Sie äußert sich vor allem in demonstrativen, mitunter auch von Ausschreitungen begleiteten Protesten mit hohem Mobilisierungspotenzial bis hin zu militanten Aktionen gewaltbereiter Linksextremisten.

Gewaltbereiten Linksextremisten gelten die vermeintlichen „repressiven Angriffe“ des Staates auf „Freiräume“ als „gewaltsame“ Durchsetzung „kapitalistischer Interessen“, die insofern in ihren Augen auch gewalttätige Reaktionen zur Verteidigung des eigenen Lebensumfeldes erfordern. So kam es in den letzen Jahren vor dem Hintergrund verschiedener Gentrifizierungsmaßnahmen sowohl in Hamburg als auch in Berlin zu Brandanschlägen auf hochwertige Fahrzeuge oder Sachbeschädigungen an Wohnobjekten. Bundesweite Resonanzaktionen zu Hausräumungen in Form von Protestdemonstrationen und Hausbesetzungen fanden auch in Niedersachsen, u. a. in Hannover, statt. Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1.

Die Landesregierung äußert sich zu den geheimhaltungsbedürftigen Angelegenheiten des Verfassungsschutzes, insbesondere zu dessen Arbeitsweise, Strategie und Erkenntnisstand in Bezug auf bestimmte Personen oder Organisatonen/Gruppierungen grundsätzlich nur in den dafür vorgesehenen besonderen Gremien des Landtages.

Zu 2.

Nach Auffassung der Landesregierung handelt es sich bei den o.a. Erkenntnissen um Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ursprung der hannoverschen Aktivitäten über die Schaffung eines „Freiraumes“ im o.a. Sinne war die Besetzung eines leerstehenden Gebäudes am 1. Februar 2011 in der Schaufelder Straße in der Hannoveraner Nordstadt.

Sie verstand sich als eine von zahlreichen bundesweit durchgeführten Resonanzaktionen auf die polizeiliche Räumung des autonomen Wohnprojektes Liebigstraße 14 in Berlin-Friedrichshain. Am 1. Juni 2011 wurde erneut ein leerstehendes Geschäftsgebäude in Hannover, diesmal in der Limmerstraße 98, besetzt. In einer auch im Internet veröffentlichten Wandzeitung erklärte die linksextremistische Antifaschistische Aktion Hannover (AAH) dazu: „Ob politische Arbeit, Selbstorganisierter Erfahrungsaustausch oder Kulturarbeit – all das muss ohne Kontrolle und Einflussnahme von Staat und Kapital möglich sein. Um Abseits von den staatlichen Jugend- und Freizeiteinrichtungen politische Gegenmacht aufzubauen, brauchen wir Freiräume wie die besetzte Limmer 98 (L 98) es war! Nicht nur für sechs Tage, sondern für immer! Linke Freiräume erkämpfen und verteidigen!“

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat sich in Hannover im Juli 2011 die „Kampagne AHOI – Für ein autonomes Stadtteilzentrum in Linden“ gebildet. Unter dem Motto „Gentrifizierung sabotieren! Rote Flora und Zomia bleiben! Bullenwachen zu Autonomen Zentren!“ besetzten ihre Mitglieder am 11. November 2011 das ehemalige Gebäude der Polizeiinspektion Hannover-West in Hannover-Linden. Bei „Roter Flora“ und „Zomia“ handelt es sich um bestehende Autonome Zentren in Hamburg, mit denen sich die hannoversche Szene solidarisiert.

In einem Interview der linksextremistischen Szenezeitung „autonomes blättchen“, Nr. 8 aus 01/2012 äußerten sich Mitglieder der „Kampagne AHOI“ auf die Frage, ob man den Gentrifizierungsprozess in Linden verlangsamen möchte oder ob man versucht, der Stadt einen Vertrag für ein Zentrum „abzupressen“, folgendermaßen: „Wir machen uns wenig Illusionen. Als Autonome fehlt uns einfach der Bewegungscharakter, den es in den Stadtteilkämpfen der 80er und 90er gab. Der Stadt etwas abzupressen ist heute ungleich schwieriger und deswegen sind wir strategisch etwas breiter aufgestellt.“

Zu 3.

Die Grüne Jugend Niedersachsen ist kein Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Aus diesem Grunde liegen der Landesregierung auch keine Kenntnisse über eine Beteiligung an den Besetzungen von Mitgliedern der Grünen Jugend Niedersachsen vor.

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