Biogasanlage Klostermoor: Was tut die Landesregierung gegen missbräuchliche Nutzung der Privilegierung von Biogasanlagen?

Ziel der Bundesregierung war es, mit dem neu geschaffenen § 35 Abs. 1 Nr. 6 Baugesetzbuch (BauGB) den Strukturwandel in der Landwirtschaft zu unterstützen und neue Formen der landwirtschaftlichen oder landwirtschaftsnahen Betätigung zu fördern, wobei gleichzeitig der Außenbereich vor übermäßiger Inanspruchnahme geschützt werden sollte. Eine dieser neuen Formen ist der gemeinsame Betrieb von Biogasanlagen in der Form, dass mehrere landwirtschaftliche Betriebe kooperieren. Die Gesetzesänderung ist im Jahr 2004 auch vor dem Hintergrund geschaffen worden, einen Anreiz dafür zu bieten, dass sich mehrere Landwirte zu einer Betreiberkooperation zusammenschließen, um auf diese Weise eine Betriebsgröße zu erreichen, mit der die Gewinnzone leichter erreicht werden kann. Die Problematik der wirtschaftlichen Rentabilität kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe, bei denen im Verhältnis zum Umfang der bereits betriebenen Landwirtschaft und des eigenen Strombedarfs ebenfalls nur kleine und somit in der Folge weniger rentable Biomassevorhaben genehmigungsfähig waren, wurde vom Gesetzgeber erkannt und sollte behoben werden.

Angesichts der erheblichen Investitionen, die bei der Errichtung einer Biomasseanlage aufzubringen sind, sind die investierenden Landwirte in vielen Fällen gezwungen, zur Besicherung des zur Verfügung gestellten Kapitals Grundstücke oder Maschinen sicherheitshalber zu übereignen. Der Inhaber des privilegierten Basisbetriebes wird aus Mangel an eigener Finanzkraft oftmals kein unbelastetes Eigentum an seinen Grundstücken nachweisen können. Es lässt sich jedoch kein Grund dafür anführen, dass der Gesetzgeber im Falle der gewünschten Kapitalunterstützung für die im Strukturwandel begriffene Landwirtschaft die bauplanungsrechtliche Privilegierung von Biomasseanlagen hätte abschneiden wollen. Die Privilegierung erfordert jedoch, dass der Eigentümer des landwirtschaftlichen Basisbetriebes dauerhaft einen bestimmenden Einfluss auf die Betreibergesellschaft haben muss. Trotz dieser Ausweitung der Privilegierung soll dem Gebot des Außenbereichsschutzes auch künftig soweit wie möglich Rechnung getragen werden. Aus diesem Grund fordert § 35 Abs. 1 Nr. 6 Buchstabe a BauGB, dass die Anlage in einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit dem Betrieb steht. Ausgehend von seiner Zielsetzung, eine Zersiedlung des Außenbereichs zu verhindern, dürfte dieses Merkmal nur dann erfüllt sein, wenn sich die Biogasanlage nach ihrem äußeren Erscheinungsbild in räumlicher Nähe zu den bereits auf dem Betriebsgrundstück vorhandenen und den Schwerpunkt der betrieblichen Abläufen bildenden Gebäude hält (z. B. Hofstelle). Eine bloße Belegenheit der Biogasanlage auf dem Betriebsgrundstück, also die Errichtung als Einzelanlage, würde demnach nicht genügen. Ob für ein konkretes Vorhaben ein räumlich-funktionaler Zusammenhang zu bejahen ist, hängt von einer Bewertung der Umstände des Einzelfalls ab.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1 und 3:

Auf die Beantwortung der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Renate Geuter und Johanne Modder (SPD) zur gleichen Problematik wird verwiesen (Drs. 16/4513).

Zu 2:

Die in der Frage geschilderten Veränderungen führen im Regelfall zur materiellen Baurechtswidrigkeit der Anlage.

Zu 4 und 6:

Die Niedersächsische Bauordnung (NBauO) regelt nicht ausdrücklich die Pflicht eines Eigentümers, Änderungen von Gesellschaftsverträgen nach Errichtung seiner baulichen Anlage mitzuteilen. Gemäß § 61 NBauO ist vielmehr der Eigentümer dafür verantwortlich, dass die bauliche Anlage dem öffentlichen Baurecht entspricht. Es besteht jedoch die Möglichkeit, insbesondere wenn es um die Zulässigkeit eines Betriebes nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB geht, in der Baugenehmigung eine Nebenbestimmung vorzusehen, die die Mitteilung an die Bauaufsichtsbehörde bzw. Immissionsschutzbehörde im Falle einer Änderung der Betreiber bzw. der Biomasseanteile vorsieht. Dadurch wäre sichergestellt, dass die Behörde rechtzeitig informiert würde. Die Genehmigungsbehörden können ferner die Beifügung von Nebenbestimmungen zu einer Baugenehmigung prüfen, damit die Privilegierungsvoraussetzungen auch nach Erteilung der Baugenehmigung noch erfüllt werden. Bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung handelt es sich um eine übertragbare Sachkonzession, die an der Anlage haftet. Wird die Anlage veräußert, geht die Genehmigung mit allen immissionsschutzrechtlichen Rechten und Pflichten auf den Erwerber über. Eine Möglichkeit, die Übernahme zu verhindern, haben die für den Immissionsschutz zuständigen Behörden nicht. Wenn im Fall einer Übernahme die Voraussetzungen für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nicht mehr gegeben sind, können sich daraus Eingriffsbefugnisse ergeben, sofern zuvor das baurechtliche Instrumentarium ausgeschöpft wurde.

Zu 5:

Aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung bestehen rechtliche Bedenken gegen die Aufnahme einer „auflösenden Bedingung“ für den Fall des Wegfalls der Voraussetzungen für eine Privilegierung nach § 35 BauGB im Rahmen der Erteilung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen. Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz hat daher die kommunalen Immissionsschutzbehörden, denen die Zuständigkeit gemäß Nr. 8.1 a) der Anlage zu § 1 Abs. 1 Zuständigkeits-Verordnung-Umwelt-Arbeitsschutz übertragen worden ist, nicht wie das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein zur Aufnahme einer solchen Nebenbestimmung angewiesen. Im Rahmen von Fachdienstbesprechungen wurde aber darauf hingewiesen, dass in Schleswig-Holstein eine entsprechende Nebenbestimmung aufgenommen wird.

Zu 7:

Die Landesregierung hält die vom Bundesgesetzgeber geschaffenen gesetzlichen Voraussetzungen für die Privilegierung von Biomasseanlagen im Bauplanungsrecht für ausreichend.

Zu 8:

Die eingesetzte Biomasse darf von den Betreibern der Biomasseanlage nicht bei beliebigen Erzeugern eingekauft werden. Sie muss vielmehr überwiegend aus dem Basisbetrieb oder nahegelegenen Betrieben stammen. Das Merkmal „überwiegend“ in § 35 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. b BauGB erfordert, dass höchstens 49 % der Biomasse von Betrieben stammen darf, die nicht mehr im Sinne dieser Vorschrift nahegelegen sind. Da mit diesem Tatbestandsmerkmal verhindert werden soll, dass es zu einem überregionalen Transport der Biomasse kommt und der Primärenergiebedarf hierfür unverhältnismäßig steigt, hat das Bundesverwaltungsgericht eine Grenze festgelegt, bis zu welcher Entfernung Betriebsflächen noch als nahegelegen gelten (siehe unter d).

Zu 8 a und b:

Die eingesetzten nachwachsenden Rohstoffe müssen zu mehr als 50 % aus dem sogenannten Basisbetrieb bzw. aus nahegelegenen Betrieben stammen. Erforderlich hierfür ist die Einschätzung der Genehmigungsbehörde, dass die Substratbereitstellung zum überwiegenden Teil aus eigener Produktion stammt oder zusammen mit der eigenen aus den bezeichneten nahegelegenen Betrieben für die voraussichtliche Dauer des Betriebs der Biomasseanlage erfolgen wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dieses Tatbestandsmerkmal von den Genehmigungsbehörden nicht lediglich im Rahmen einer positiven Prognose, sondern anhand von langfristig abgeschlossenen Lieferverträgen über Biomasse zu überprüfen.

Zu 8 c:

Zur Bewertung des überwiegenden Anteils der eingesetzten Biomasse hat der Gesetzgeber keine verbindlichen Maßstäbe festgelegt. Es ist daher möglich, auf das Volumen, das Gewicht oder den Energieertrag abzustellen, wobei die Bezugnahme auf Volumen oder Gewichtsanteile im Gegensatz zur Energieertragsmenge der Vorrang einzuräumen ist. Dies folgt daraus, dass der Energiegehalt als Mengenmaß weniger geeignet erscheint, weil dieser sich durch Kombination einzelner Einsatzstoffe und in Abhängigkeit von der Gärtemperatur und Gärzeit erheblich beeinflussen lässt.

Zu 8 d:

Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 11.12.2008 - Az.: 7 C 6.08 (BVerwGE 132, 372 ff.) - ausgeführt, dass die Grenze für noch nahegelegene Betriebsflächen bei einer Entfernung von ca. 15 bis 20 km von der Biomasseanlage liegt.

Zu 9:

Bezüglich der in § 35 Abs. 1 Nr. 6 Buchst. a BauGB geforderten Voraussetzungen für einen „räumlich-funktionalen Zusammenhang“ mit einem landwirtschaftlichen Betrieb wird auf die Vorbemerkung und Ziffer 1.2 der Hinweise von MS und ML zu der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit von Biomasseanlagen vom 06.12.2006 verwiesen. Die Hinweise sind als pdf-Datei unter www.ms.niedersachsen.de, Themen - Bauen & Wohnen - öffentliches Planungs- & Baurecht abrufbar.

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